In memoriam Robert Daleiden

Im Alter von 89 Jahren wurde letzthin in Steinsel mit Robert Daleiden eine markante Persönlichkeit zu Grabe getragen, von der man mit Recht behaupten darf, dass sie während einer gewissen Zeit das öffentliche Leben in Steinsel beeinflusst hat, und aus diesem Grunde auch verdient, öffentlich gewürdigt zu werden.

Robert Daleiden stammte aus Ettelbrück, wo er am 20. Oktober 1921 geboren ward. Er fiel demgemäß unter jene Jahrgänge, die von den deutschen Besetzern zur Wehrmacht gezwungen wurden. Als Postbeamter wurde er schon 1941 nach Trier dienstverpflichtet, wo er im Bereich der deutschen Bahnpost auf den Eisenbahnstrecken des „Moselgaues“ Dienst verrichtete. Später folgten dann nacheinander Arbeitsdienst und Wehrmacht. Hier hatte er nun Glück im Unglück, und zwar in dem Sinne, dass er nach der Landung der Alliierten in Frankreich in der Normandie zum Einsatz kam. Im Raum Saint-Lô gelang ihm die Desertation zu den amerikanischen Streitkräften, die ihn anschließend nach England überführten. In London meldete er sich als „Volontaire de guerre“ zum luxemburgischen Kontingent, das als Artillerie-Einheit (Batterie luxembourgeoise) einen integrierten Bestandteil des „First Belgian Field Regiment“ darstellte. Dieses Regiment, besser bekannt als „Brigade Piron“ nach ihrem Befehlshaber, dem belgischen General Piron, stand seinerseits unter dem Kommando der „British Liberation army“ unter Feldmarschall Montgomery. Mit diesem Korps nahm er noch nach einer Aufstockung der Effektive in Belgien an den Kämpfen in Holland und Deutschland teil sowie an der Besetzung des Rheinlandes.

Seine Funktion in der „Batterie“ war die eines „Chef de pièce“ (Einsatzleiter einer Kanone). Er beendete den Krieg mit dem Titel eines Sergent-chef und trat in die luxemburgische Postverwaltung zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung als Commis principal amtierte.

Robert Daleiden ehelichte im Jahre 1951 Charlotte Hansen aus Steinsel, wo er sich denn auch definitiv niederließ. Aus dieser Ehe entstammten vier Söhne, von denen einer durch Unglücksfall verschied. In Steinsel nahm Robert Daleiden regen Anteil am Dorfleben. So war er während 36 Jahren Mitglied des Gemeinderates. Davon amtierte er während sechs Jahren als Schöffe und während zwölf Jahren als Bürgermeister. Zusätzlich bekleidete er während mehr als 20 Jahren das Amt des Sekretärs und Verkaufsleiters der damaligen Erdbeergenossenschaft. Er war gleichfalls Mitbegründer und Sekretär der Obstweingenossenschaft „Vinifruits“ sowie der Steinseler Obstbaugenossenschaft. Des Weiteren war er längere Zeit Mitglied der Kirchenfabrik und Sekretär der „Oeuvres paroissales“. In letzter Funktion leitete er in den Jahren 1971-1974 unter Pfarrer Camille Fournelle die damalige Fertigstellung der Maison culturelle (Cercle catholique) in eigener Regie, zusammen mit gleichgesinnten Dorfbewohnern und Mitgliedern katholischer Vereinigungen. Zur Begleichung einer damals verbliebenen Restschuld war er es, der durch die Organisation einer ganzen Reihe von jährlich wiederkehrenden, kulinarischen Dorffesten einen gewichtigen Beitrag zur landesweiten Renommee der Gemeinde Steinsel leistete. Zuletzt bleibt noch festzuhalten, dass er auch noch während zirka 40 Jahren als Lokalkorrespondent unserer Zeitung tätig war.

Friedrich Nietzsche sagte tiefgründig: „Also will es die Art edler Seelen; sie wollen nichts umsonst habe, am wenigsten das Leben. Und wahrlich, dies ist eine vornehme Rede, welche spricht: Was uns das Leben verspricht, das wollen wir dem Leben halten.“

Die Natur hatte Robert Daleiden großzügig mit vielen Talenten und Willenskräften ausgestattet. Zusätzlich hatte sie ihm eine robuste Gesundheit geschenkt.

Robert ließ seine Talente, seine Begabungen nicht brachliegen.

Durch lebenslanges intensives Studium hat er die Talente auf autodidaktischem Wege zur Entfaltung gebracht, hat Fähigkeiten entwickelt, durch die er in der Lage war, in gehobener Position, in speziellen Bereichen der Wissenschaft, mehrere Berufe unterschiedlicher Art auszuüben.

Sehr intensiv widmete er sich stets dem Studium der deutschen und französischen Literatur, der Kulturgeschichte, der Menschheitsgeschichte im Allgemeinen.

Seine in einwandfreiem „Deutsch“ oder „Französisch“ verfassten Berichte, Stellungnahmen zu politischen, kulturellen, wirtschaftlichen Fragen zeugen von großen Sprachkenntnissen und tiefgründigem Wissen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er einen vortrefflichen Journalisten abgegeben.

Er hatte in den Jahren 1944 und 1945 als Freiwilliger der englischen Armee auf dem Schlachtfeld Extremsituationen erlebt, die ihn zutiefst beeindruckt hatten, von denen er selten sprach, die aber entscheidend seinen Charakter mitgeprägt hatten.

In Robert Daleiden steckte das Zeug zu einem tüchtigen Militär-offizier, zumal auch von seiner Person eine große Ausstrahlung ausging und er die natürliche Begabung besaß, Menschen mitzureißen.

Auf Grund seiner Kenntnisse im Straßenbauwesen, im Baufach im Allgemeinen, und in Anbetracht seines Organisationstalentes, hätte er auch den Beruf des Ingenieurs im „Génie civil“ ergreifen können.

Diese Kenntnisse kamen ihm später bei der Ausübung des Bürgermeisteramtes sehr zunutze.

Durch Studium der einschlägigen Literatur auf dem Gebiet des Obstanbaus, durch den Besuch von Obstanbauanlagen im Ausland hatte er sich großes Wissen hauptsächlich auf dem Gebiet der Erdbeer- und Kernobstkultur angeeignet. Ein Wissen, aus dem er in seiner Eigenschaft als Sekretär, als Motor der Erdbeergenossenschaft „Fraise“ und der lokalen Obstbaugenossenschaft Nutzen zog.

Gleich nach seiner ehrenvollen Entlassung aus der englischen Armee im Jahre 1945 erkannte er, dass er nur als Mitglied einer politischen Partei, und zwar an führender Stelle, sei es auf kommunaler Ebene, sei es auf Landesebene, ein Minimum seiner Vorstellungen, betreffend Beseitigung von Missständen verwirklichen konnte.

Zielbewusst strebte er einen Posten in der CSV-Parteileitung an. Mit der Rolle eines Statisten in der Partei wollte er sich nicht abfinden.

Sein Streben brachte ihm dann auch schlussendlich 1976 den Posten des Bürgermeisters der aufstrebenden Gemeinde Steinsel ein.

Robert war der kämpferisch veranlagte Vollblutpolitiker. Er stand in der Verteidigung der christlich-humanen Tugenden. Mit scharfer Zunge, am liebsten mit spitzer Feder, verteidigte er seine christlich sozialen Grundsätze. Er war ein Mann mit Rückgrat. Unterwürfiges Benehmen war ihm abhold. Er zögerte auch nie, wenn er es für angebracht hielt, an der CSV-Führung Kritik zu üben, allgemein soziale Mißstände anzuprangern. Recht ungemütlich wurde er stets, wenn er Lug und Betrug witterte. Dann konnte sein stürmisch aufbrausendes Temperament ihn zu heftigen Reaktionen hinreißen lassen. Dann konnte er auch mal über die Stränge schlagen und bei Freund und Feind anecken.

Seine Vitalität schien unerschöpflich. Wenn er gelegentlich, zumal in den letzten Lebensjahren, die Glaubwürdigkeit von kirchlichen Amtsträgern in Zweifel zog, so war das der Beweis, dass er mit der kirchlichen Autorität litt. Es war auch der Beweis, daß ihm Sein und Werden der Kirche nicht gleichgültig waren.

Er stand ein Leben lang in der Propagierung und Verteidigung der christlich-moralischen Grundwerte. Er bedauerte zutiefst die zunehmende Deflation der christlich-humanen Grundwerte, die in respektloser Art und Weise, vornehmlich in Bild und Schrift, durch den Dreck gezogen und entweiht wurde. Er war und blieb, in Lebensauffassung und Lebensführung im Glauben an die christlich- sozialen Grundprinzipien verankert. So war er auch immer der fürsorglich handelnde Familienvater, dem das Wohlergehen der Gattin, der Kinder und der Kindeskinder über alles ging.

Wer in Schwierigkeiten war, und Hilfe brauchte, wendete sich an Robert. Er half nach Maßgabe des Möglichen.

Seine umfangreichen theoretischen und praktischen Kenntnisse, aber auch seine guten Relationen zu hochgestellten Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft befähigten ihn dazu.

Er tat es aus innerem Pflichtgefühl aus Freude am Dienen und Arbeiten.

Er tat es ein Leben lang und es drängte ihn zum tätigen Leben.

Ich war oft Zeuge von erquickenden Szenen, die ein bezeichnendes Licht auf diese Persönlichkeit werfen.

Während der kulinarischen Feiern in den siebziger Jahren stand der Bürgermeister in der „Maison culturelle“ am Spülbecken und wusch fleißig Küchengeschirr.

Er half dem Bauer Albert Kolber beim Schweineschlachten und Zubereiten von Spezialitäten aus Schweinefleisch.

Wenn Straßenarbeiten ausgeführt wurden, stand der Bürgermeister, in schmutziger Arbeitskleidung, stundenlang in der Nähe der Straßenarbeiter und gab Anweisungen, oft auch ernstgemeinte Ermahnungen.

Dann wieder saß er am Schreibtisch, wälzte Bücher und Akten, schrieb ellenlange, in akademischen Stil verfasste, Briefe an hochgestellte Persönlichkeiten, mitunter auch an seinen Freund, den Staatsminister Pierre Werner oder an den Bischof Jean Hengen.

Alle, die ihn kannten, schätzten ihn, weil er das Ideal des liebenswürdigen, hilfsbereiten Menschen verkörperte. Er war aus jugendlichem Sturm und Drang (Kriegsjahre 1940-45), über tatenvolle Mannesjahre, durch schmerzhafte Lebenserfahrungen, zu abgeklärter Ruhe und Gelassenheit gelangt.

Er handelte zeitlebens nach der von Johann Wolfgang Goethe in seiner Ode „Das Göttliche“ ausgesprochenen Aufforderung an die Menschheit.

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“

Man kann also gewiss zu Recht behaupten, dass mit Robert Daleiden ein voll ausgefülltes, arbeitsintensives Leben seinen Abschluss fand.

Ehre seinem Andenken.
Dezember 2010

Paul Schumacher
Heisdorf