Frei nach dem Klischee, „kleines Dorf mit Kirche im Ortskern und angrenzender Dorfschenke“, erfüllt auch das Café „Beim Lill“ die Vorstellung, die man von einem typischen „Bopebistro“ hat. Hier ist aber eine Tradition entstanden, die in diesem Jahr bereits ihr 45. Jubiläum feierte: der landesweit bekannte „Hingerjucksbal“.
Wir befinden uns in der Ortschaft Roodt, nur einen Katzensprung von Redingen entfernt. Rechts neben der Dorfkirche erstreckt sich ein langes weißes Haus. Wir sind, wie es auf dem Blechschild über der Tür geschrieben steht, bei „Lill“.
Beim Öffnen der Tür erklingt eine Klingel. Wenig später erscheint Lill Roorda-Schwebag. Ihre Eltern waren bereits im Besitz der Hauses und führten die Schenke im idyllischen Ort. Als die Mutter in den sechziger Jahren verstarb, kehrte sie mit ihrem Ehemann zurück nach Roodt, um das Café weiterzuführen. Sie war verheiratet und lebte bereits in Belgien, wo ihr Ehemann bei der Bahn arbeitete.
Über dem Flimmerkasten der wohnlichen Wirtschaft thront der ausgestopfte Kopf eines Wildschweins: „Die Wildsau ist uns damals einfach vor unseren kleinen DKW gelaufen. Das Auto war nachher Schrott, uns war glücklicherweise nichts passiert,“ erzählt die rüstige 83-Jährige. „Wir konnten das Wildschwein behalten, gaben es aber dem Hotelier aus Redingen. Den ausgestopften Kopf bekamen wir als Erinnerung zurück. Seitdem hängt er dort und hält ein wachsames Auge auf unsere Kundschaft.“
Zur Stammkundschaft gehört, wie sollte es auch anders sein, der „Spuerveräin“, der im kleinen Dörfchen stolze 45 Mitglieder zählt. Um Mitglied des Vereins zu werden, muss man einmalig 25 Euro einzahlen, anschließend jeden Monat 20 Euro in sein Fach des „Spuerveräins“-Kastens. Vergisst ein Vereinsmitglied die monatliche Zahlung, fällt eine Strafe in Höhe von fünf Euro an. Das angesparte Geld wird jeden Monat auf die Sparbank gebracht. Mit dem Erspartem finanziert der Club seine Aktivitäten, wie zum Beispiel den im ganzen Land bekannte „Hingerjucksbal“.
Diese Faschingsfete die traditionell am Faschingsmontag stattfindet, hat seine Wurzeln bei Lill in Roodt. „Die erste Auflage des Balls fand in der Waschküche, im hinteren Teil des Hauses statt,“ schildert Lill, „das war Ende der sechziger Jahre. Irgendwann wurde unser Lokal aber klein für den wachsenden Erfolg des närrischen Treibens. Seither findet der „Hingerjucksbal“ im Eller Kulturzentrum statt“. Dieses Jahr feierten die Jecken bereits zum 45. Mal am Faschingsmontag.
Heute geht Lills Tochter Chantal der stämmigen Rentnerin zur Hand. Montags ist die Dorfschenke geschlossen. An den anderen Tagen heißen Lill und Chantal ihre Gäste immer zwischen 10 und 1 Uhr willkommen. Im Sommer wartet ein gemütlicher Biergarten neben dem Haus auf seine Kundschaft. Jeden Mittwoch wird sich hier getroffen um Karten, genauer gesagt „Kontramit“, zu spielen. Zu den Stammgästen gehören auch der Gesangsverein und der ortsansässige Jugendclub. (Fotos: Marc Wilwert)