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Schauspieler Mehmet Kurtulus im Gespräch: „Ich liebe das Risiko“

Sein Leinwanddebüt gab er 1998 als Hamburger Gangster Gabriel in Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ – und erhielt dafür gleich den Darstellerpreis beim Filmfestival von Locarno. Ein Kapitel deutscher Fernsehgeschichte schrieb er 2008 als erster türkischstämmiger „Tatort“-Kommissar und zuletzt stand er als eifersüchtiger Ehemann in Shakespeares „Othello“ auf der Bühne des Alten Schauspielhauses in Stuttgart. Gestern besuchte Schauspieler Mehmet Kurtulus das „Luxemburger Wort“ und plauderte aus dem Nähkästchen.

Sie sind dem hiesigen Publikum u. a. als Hamburger „Tatort“-Kommissar bekannt. Erzählen Sie uns doch etwas über ein weniger bekannteres Kapitel Ihrer Karriere: der 19-jährige angehende Schauspieler Mehmet bei der „Sesamstraße“ ...

Zufällig habe ich das passende T-Shirt zu Ihrer Frage an (lacht) ... Die Sesamstraße war mein Debüt beim Fernsehen: Ich war dort – mit Augenzwinkern – zweiter Regieassistent und durfte auch mitspielen. Das war die erste Chance für einen jungen Mann, der in einer Gegend aufgewachsen ist, wo das Fernsehen sehr weit weg lag. Salzgitter ist Schwerindustrie, etwa vergleichbar mit Esch – dort mit Träumen zu kommen, Filmregisseur oder Schauspieler zu werden, war an sich sehr weit hergeholt ...

Wann verspürten Sie den Wunsch, in Richtung Film zu gehen?

Das war eine Entdeckung in der dritten Klasse, als im Deutschunterricht „Lesen mit verteilten Rollen“ auf dem Lehrplan stand. Jemand anderes zu sein und dessen Text zu sprechen, hat mich sofort begeistert: Ich war Feuer und Flamme. Später habe ich entdeckt, dass es ein Beruf ist, für den man Geld bekommt – also ergriff ich ihn.

So einfach, wie es sich heute anhört, ist es jedoch nicht ...

Für türkische Kinder umso weniger, da die Rollenauswahl noch kleiner ist als für deutsche Kinder, und die haben es schon schwer. Schauspiel gilt bekanntlich als brotlose Kunst. Ich hatte das Glück, von meinen Eltern unterstützt zu werden. Sie haben mir überhaupt keine Steine in den Weg gelegt, sondern standen, im Gegenteil, voll und ganz hinter mir. Das Vertrauen meines Vaters war das größte Geschenk überhaupt ...

Blickt man auf Ihre gut bestückte Filmografie, vergisst man schnell, dass Sie eigentlich Ihre ersten Schritte im Scheinwerferlicht der Theaterbühne gemacht haben. Was macht es spannend, zwischen beiden zu jonglieren?

Beim Theater ist es die Live-Situation, die Geschichte wird von Anfang bis Ende erzählt. Beim Film arbeitet man mosaikartiger und hat die Chance der Reproduktion, doch die kleine Linse blickt einem bis in die Seele und sieht alles. Auch wenn man an sechs nacheinander- folgenden Abenden im Theater die gleiche Rolle spielt, ist man selbst, das Ensemble, aber auch das Publikum immer anders – Routine stellt sich, zumindest für mich, nie ein.

Zuletzt schlüpften Sie in Shakespeares „Othello“. Flößen solche Figuren Ihnen mehr Respekt ein als Film- und Fernsehrollen?

Respekt sollte man vor allem, was man tut, haben. Es gibt auch keinen qualitativen Unterschied, weil man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann. Man hat dieselbe Sportart, jedoch zwei unterschiedliche Disziplinen: Ein Marathonläufer und ein 100-Meter-Läufer treten insofern auch nicht in Konkurrenz.

Mit Kriminalhauptkommissar Cenk Batu gab es erstmals einen türkisch-stämmigen und zudem verdeckten Ermittler beim „Tatort“. Haben Sie die diesbezüglichen Schlagzeilen – die bis in die französische Presse reichten – eher überrascht?

Sie haben mich – ganz ehrlich – überrascht, dabei ist auch ein Wermutstropfen, denn der Fokus unserer Arbeit lag eigentlich beim Format. Der „Tatort“ ist eine richtige Institution – die einzige Serie weltweit, die seit 40 Jahren läuft. 2010 war ich auf Einladung der NYU in New York, die sich infolge einer Studie den Hamburger „Tatort“ als innovativsten ausgesucht hat. Mit dem verdeckten Ermittler haben wir eigentlich an der heiligen Kuh geschraubt, nur dass der Formatwechsel im Vergleich zu meiner Besetzung nicht so aufgefallen ist. Der Wermutstropfen im Bezug auf das fast schon inflationär genutzte Wort „Integration“ galt der Tatsache, dass ich gemerkt habe, dass wir doch nicht so weit sind, wie wir gedacht haben. Eine Sensation wäre für mich ein türkischstämmiger Kommissar in den 70er- oder 80ern gewesen.

Welche Auszeichnung hat Sie mehr berührt? Der Grimme-Preis oder der Polizeistern Hamburg?

Beides sind fantastische Preise. Wir machen keine Dokumentation, sondern Fiktion, wir könnten uns demnach – in einem gewissen Rahmen – alles erlauben. Der Polizeistern hat mich besonders berührt, weil das Lob von „Kollegen“ kam.

Dennoch verabschieden Sie sich von Cenk Batu. Weshalb?

Man sollte aufhören, wenn es am Schönsten ist. Für mich war es mehr oder weniger von Anfang an klar, dass es nur sechs Folgen sein sollten, und die letzte haben wir zwei Tage vor Weihnachten fertig- gedreht. Ich liebe das Risiko, ich ernähre mich von Unsicherheit – für Künstler ist sie Motivation und Motor für Kreativität, und erlaubt ihm umzuwachsen. Ich komme aus dem Independent-Kino, der Tatort war eine fantastische Plattform – Herausforderung und Ehre zugleich –; nun freue ich mich wieder darauf, mich dem Film zu widmen.

Können Sie uns mehr über diese letzte Folge verraten?

Die Bild-Zeitung hat ja eigentlich schon alles verraten ... Wir sind in der Finanzwelt und der Bundeskanzler kommt nach Hamburg zu Besuch – in dem Zusammenhang gerate ich „unter die Räder“ ...

Ein Ratschlag für Ihren Nachfolger Til Schweiger?

Einen Ratschlag habe ich nicht: Er ist erfahren genug, liebt seinen Beruf so wie ich. Also kann ich nur gespannt sein, was er machen wird.
Stehen bereits neue Projekte an?

Erst einmal stehen Ferien an. Das letzte Jahr war – mit zwei Filmen und einem Theaterstück – beruflich sehr intensiv. Danach werde ich mich als Schauspieler und Produzent wieder mit zwei, drei Projekten dem Kino widmen. Darüber hinaus freue ich mich auf mehr Zeit mit meiner Partnerin in ihrer Heimat, die vielleicht irgendwann meine werden wird.

Interview: Vesna Andonovic