EssKU(H)ltur – die Zukunft der Kuh in der Landwirtschaft 7. Bio-Symposium 2024
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EssKU(H)ltur – die Zukunft der Kuh in der Landwirtschaft
7. Bio-Symposium 2024
Im Rahmen der 2. BIO Woch „dem Bio-Bauer säi ganze Stolz“ organisierte die Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg a.s.b.l. das 7. Biosymposium als Abendveranstaltung. Vorab traf man sich in Mertzig zu einem kleinen Bio-Imbiss, um dann den Vorträgen zum Thema „EssKU(H)ltur- die Zukunft der Kuh in der Landwirtschaft“ frisch gestärkt folgen zu können.
In Zeiten des Klimawandels braucht es für die Landwirtschaft angepasste und neue Wege, um die Nahrungsmittelproduktion gewährleisten und dabei die natürlichen Ressourcen schonend und effizient nutzen zu können. Die Nahrungsmittelversorgung und -souveränität bei steigenden Bevölkerungszahlen steht geradeso im Fokus, wie der nachhaltige Umgang mit unseren begrenzten Ressourcen. Wir haben die planetaren Grenzen einiger Ressourcen bereits erreicht und teilweise schon überschritten. Demnach ist ein „weiter-wie-bisher“ nicht opportun. Wie könnte das Szenario in Luxemburg aussehen? Univ. Prof. Dipl.-Ing Dr. Werner Zollitsch von der BOKU, der Universität für Bodenkultur in Wien, befasst sich mit der Nachhaltigkeit tierischer Produktionssysteme. In seinem Vortrag steckte er den Rahmen ab und beschrieb die „Bio-Tierhaltung in Zeiten multipler Krisen“. Dabei stellte er vier Krisen in den Fokus seiner Betrachtung:
1. Die Klimakrise
Extremwetterereignisse führen zum Verlust von Lebensgrundlagen und entsprechende Anpassungen sind für die landwirtschaftliche Praxis unabdingbar. Die Treibhausgasemissionen sind hier ein wichtiges Thema, denn insbesondere die Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung stehen auf dem Prüfstand. In Luxemburg stammen 7,86% der nationalen Treibhausgasemissionen und 82% der Ammoniak-Emissionen aus der Landwirtschaft, größtenteils aus der Tierhaltung. Prof. Werner Zollitsch konnte aufzeigen, dass die biologische Milcherzeugung positive Effekte hat, dass es aber Nuancen gibt. Im Vergleich der verschiedenen Haltungssysteme und -bedingungen, stellte er fest, dass die Betriebsführung, also der Faktor Mensch, entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg des Betriebes ist. Die Klimaveränderungen stellen neue Anforderungen an die Landwirte, da sich neue Schadinsekten und Pflanzenkrankheiten etablieren. Wetterextreme wie Starkregen, Trockenheit, fehlende Kälteperioden wirken sich auf Erträge, Pflanzenwachstum, Bodenprozesse usw. aus. Dies sind neue existentielle Risiken und Herausforderungen für die Landwirtschaft.
2. Ernährungskrise
Hier beleuchtete Werner Zollitsch in erster Linie den Punkt der Nahrungskonkurrenz zwischen Mensch und Tier. Wie ist die Relation zwischen Feldfutteranbau für die Tierernährung und damit die Produktion von tierischen Proteinen für die menschliche Ernährung? Z.B. werden in Österreich 52% des Getreides für die Tierfütterung gebraucht, nur 17% gehen direkt in die menschliche Ernährung. Die flächengebundene Rinderhaltung in Kombination mit Weidegang zeigt hier Vorteile und ist noch optimierbar.
3. Biodiversitätskrise
Die Fakten zeigen ein verheerendes Bild: Artenschwund, Verlust von Ökosystemen, bedrohte Arten und zunehmend aussterbende Arten. In Luxemburg sind 84% der Grünlandhabitate in einem schlechten Zustand, 83% der Tier- und Pflanzenarten (ohne Vögel) sind in einem unzureichendem bis schlechtem Erhaltungszustand. Durch intensive Düngung und den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel ist die Brutvogelpopulation um 36 % zurückgegangen. Daneben befinden sich die Gewässer ebenfalls in keinem guten Zustand. 50% der Grundwasserkörper erreichen keinen guten chemischen Zustand aufgrund diffuser landwirtschaftlicher Einträge. Von 98 Oberflächengewässern ist keines in einem guten Zustand.
4. Vertrauenskrise
Werner Zollitsch brachte hier eine zunehmende Tendenz in der Gesellschaft zur Diskussion. Im Zuge von vielen Informationen, wobei Berichte über Skandale Überhand nehmen, sinkt das Vertrauen in die Landwirtschaft und die Ernährungssysteme. Am Beispiel des Tierwohls erleben wir eine neue Bewegung in der Gesellschaft, denn das Tier wird mehr und mehr als Mitgeschöpf geachtet. Tiere als Nutztiere, die in zunehmend industriell geprägten Produktionseinheiten gehalten werden, werden nicht mehr akzeptiert. Auch Eingriffe am Tier werden abgelehnt. Die Bedeutung der Tiere und ihrer Haltung werden uns laut Werner Zollitsch zukünftig noch intensiver beschäftigen.
Die multiplen Krisen, die uns alle betreffen, haben auch einen Impakt auf die Landwirtschaft und die Form, wie wir sie in Zukunft betreiben werden. Biolandwirtschaft bietet heute schon positive Effekte, sie muss aber auch weiterentwickelt und optimiert werden.
Anschließend widmete sich Dr. Stéphanie Zimmer vom Institut fir Biologesch Landwirtschaft an Agrarökologie Luxemburg (IBLA) in ihrem Vortrag der Fragestellung „Nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme. Die Qual der Wahl: Kuh, Konsum oder Kraftfutter?“ Gleich zu Anfang bat Sie die rund 100 Zuhörer die Augen zu schließen und sich ihr Idealbild der Landwirtschaft vorzustellen. Danach stellte Sie dar, wie dieses Ideal von der Realität eingeholt wird. Die Fakten, insbesondere zum Zustand der Umwelt, der Wasserqualität und den Emissionen aus der Landwirtschaft machen klar, dass ein „weiter-wie-bisher“ keine Option sein kann. Welche Szenarien wären für Luxemburg denkbar? Aus den Studien, an denen das IBLA mitgewirkt hat, wie z.B. der Studie „SustEATable“, stellte Frau Dr. Zimmer Szenarien vor, wie die Landwirtschaft, die einerseits Verursacher und gleichzeitig Opfer ist, sich bis 2050 anpassen kann. Damit aber nachhaltige Lebensmittelsysteme entstehen können müssen neben den landwirtschaftlichen Praktiken auch die Ernährungsgewohnheiten angepasst werden. In Luxemburg fallen jährlich ca. 93.000 t Lebensmittelabfälle an, davon rund 60.000 t in den Haushalten. Mindestens 50% davon wären vermeidbar.
Für die Produktion tierischer Produkte, wie Milch und Fleisch werden jährlich 28.000 t Soja importiert, wovon 70% an Rinder verfüttert werden, die eigentlich kein Nahrungskonkurrent zum Menschen sind. Gerade in Luxemburg als Grünlandstandort, sollte auf eine grünlandbasierte, flächengebundene Rinderhaltung umgestiegen werden.
Die verschiedenen Szenarien konnte Dr. Zimmer mit Hilfe von Spider-Diagrammen nachvollziehbar darstellen und die Unterschiede herausschälen. In der Studie „SustEATable“ wurden folgende Szenarien bis 2050 betrachtet:
- Transition auf Biolandwirtschaft (0%, 25%, 50%, 75%, 100%)
- Reduktion der Lebensmittelabfälle (0%, 25%, 50%)
- Reduktion des Kraftfuttereinsatzes (0%, 50%, 100%)
Als Kompromiss zwischen den 3 Zielen, wäre ein Szenario für Luxemburg von 75% Biolandwirtschaft mit mindestens 25% Reduktion der Lebensmittelabfälle und mindestens 50% Reduktion des Kraftfuttereinsatzes machbar. Für eine Transition brauchen wir jetzt die klare Formulierung der politischen und gesellschaftlichen Prioritäten. Wie wichtig sind uns Biodiversität, Boden- und Wasserschutz? Wie können wir die Emissionen reduzieren? Wie unsere Ernährungssouveränität erhalten?
Mit diesem Vortrag lieferte Dr. Stéphanie Zimmer die Basis für die anschließende Podiumsdiskussion. Zur Einstimmung wurde der Film „Wéivill Kéi sinn nohalteg fir Lëtzebuerg“ (https://www.youtube.com/watch?v=7vFUeow_E2E) gezeigt, der im Rahmen des SIMBA-Projektes in Luxemburg entstanden ist. Hier wird deutlich gemacht, dass die flächengebundene Rinderhaltung sinnvoll ist, um nachhaltig unsere verfügbaren Ressourcen zu nutzen. Dazu passt die Reduktion der Lebensmittelverschwendung und die Senkung des Fleischkonsums. Eine eingängliche Zusammenfassung der abendlichen Vorträge. Zur Diskussion ergänzten Claudine Felten, die Direktorin von natur&ëmwelt a.s.b.l., sowie Jeff Boonen, Präsident der Agrarkommission, den Rednerkreis. Claudine Felten bedauerte, dass in den vorgestellten Szenarien die Biodiversität nicht mit in Betrachtung eingeflossen ist. Ausdrücklich wies sie nochmals darauf hin, dass es um die Biodiversität in Luxemburg nicht gut bestellt ist. Insbesondere die Offenlandhabitate sind massiv bedroht. Die rote Liste der bedrohten Vogelarten wurde neu erfasst und sie wird länger. Landwirtschaft ist ein Hauptakteur, der beeinflussen kann, ob der Biodiversitätsverlust aufgehalten werden kann. Sie appellierte, sich dieser Herausforderung aktiv zu stellen.
Jeff Boonen brachte einen weiteren Punkt in die Diskussion, der bisher noch nicht thematisiert worden war, nämlich die ökonomische Seite. Bauern müssen von dem, was sie erwirtschaften leben können. Dieser Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie beherrscht die Landwirte, insbesondere im Kontext mit der Agrarpolitik und der Gestaltung der Subventionen, sowie im gesellschaftlichen Diskurs. Seiner Meinung nach, haben die Milchviehbetriebe viel Know-How, das wertvoll ist. Die Reduktion der Viehzahl bleibt also weiterhin ein strittiger Diskussionspunkt.
Stéphanie Zimmer betonte, dass eine flächengebundene Viehhaltung als Konzept für Luxemburg absolut passend und zukunftsweisend ist. Die Analyse der landwirtschaftlichen Praktiken und der Ernährungsmuster für Luxemburg bei „SustEATable“ hat gezeigt, dass ganzheitlich nachhaltige Landbewirtschaftung Lösungen bietet.
Biolandwirtschaft als Strategie für eine nachhaltige Ausrichtung insbesondere der Tierhaltung in Luxemburg ist ernst zu nehmen. Die politischen und gesellschaftlichen Prioritäten sind klar zu formulieren, damit ein passender Kompromiss gefunden werden kann, der unsere Lebensgrundlagen erhält. Eines ist sicherlich klar geworden: ein „weiter-wie-bisher“ ist keine Option für die Zukunft.
(Daniela Noesen, Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg a.s.b.l.)